Über Drecksarbeit und deutsche Staatsräson
Der Begriff „deutsche Staatsräson“, so informieren uns die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, steht weder im Grundgesetz noch ist er in einer einfachen Rechtsvorschrift festgeschrieben. Er wird laut den wissenschaftlichen Diensten als politisches Leitprinzip verstanden. Im absolutistischen Zeitalter wurde der Begriff von den Fürsten zur Legitimation ihrer Macht verwendet. 2007 wurde er von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Zusammenhang mit Israel vor der Vollversammlung der UN und 2008 vor der Knesset benutzt. Problematisch wird der Begriff dann, wenn mit ihm geheimdienstliche menschenrechtswidrige Aktionen, Menschenrechtsverletzungen, Genozide und Völkerrechtsverletzungen legitimiert werden. Genau dies ist aber in Bezug auf Israel der Fall.
Am 21. November 2024 erließ der Internationale Gerichtshof in Den Haag Haftbefehle gegen Benjamin Netanjahu, den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Yoaf Gallant und den Hamas-Führer Mohammed Deif. Ihnen wird vorgeworfen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben (Amnesty International online). So heißt es auf der Internetseite von Amnesty International:
„Hohe Beamte für ihre zahlreichen Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, ist ein entscheidender Schritt zur Beendigung der anhaltenden Rechtsverletzungen in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet. Dies könnte dazu beitragen, die fortgesetzte Enteignung und Unterdrückung der Palästinenser*innen unter Israels rechtswidriger Besatzung und Apartheid zu bekämpfen“.
Deutschland wäre verpflichtet, Benjamin Netanjahu, wenn er deutschen Boden beträte, festzunehmen. Nachdem Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt wurde, lud er noch am Wahlabend Netanjahu telefonisch nach Deutschland ein. Auf einer Pressekonferenz teilte Merz mit, dass er zu Netanjahu gesagt hätte, dass es „Mittel und Wege“ gäbe, dass er Deutschland besuchen und auch wieder verlassen könne. Allein diese Zusage an Netanjahu ist eine Missachtung des internationalen Gerichtshofs, dessen obligatorischer Gerichtsbarkeit Deutschland sich 2008 unterworfen hat. Die deutsche Staatsräson steht also offensichtlich über dem Recht. Dass es Friedrich Merz trotz seines Studiums der Rechtswissenschaft mit den Menschenrechten und dem Grundgesetz nicht ganz so genau nimmt, beweisen seine kürzlichen Äußerungen bezüglich der israelischen Luftangriffe auf den Iran in einem ZDF-Interview am Rande des G7-Gipfels. Die Interviewerin führte den Begriff „Drecksarbeit“ mit einer Frage an Merz selbst ein. Merz wörtlich: „Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Begriff Drecksarbeit. Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle“. In Anbetracht der Situation, dass aufgrund der israelischen Luftangriffe im Iran bis jetzt mehrere hundert Zivilisten ums Leben kamen (Iranisches Gesundheitsministerium: 400 Zivilisten, darunter 54 Frauen und Kinder), ist diese Aussage durch nichts zu rechtfertigen. Man stelle sich vor: Ein deutscher Bundeskanzler legitimiert Mord und Totschlag (metaphorisch ausgedrückt) durch die israelische Armee! Zu Recht reichte Diether Dehm mit weiteren Unterzeichnern, darunter Dieter Hallervorden, eine Strafanzeige beim Generalbundesanwalt und bei der Staatsanwaltschaft Berlin ein. Dehm schlußfolgert dann:
„Wenn ein deutscher Regierungschef in seiner Vorbildfunktion meint, derart offen und öffentlich gegen Artikel 26 verstoßen zu dürfen, könnten sich künftig noch mehr Menschen in Deutschland ermutigt fühlen, Angriffskriege zu propagieren“.
Der Grundgesetzartikel 26 bezieht sich auf das Verbot von Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Strafanzeige zu einer Verurteilung von Friedrich Merz führen wird, aber sie setzt ein Zeichen. Laut einer Umfrage im Juni 2025 sind nur 17 – 22% der deutschen Staatsbürger für eine Fortsetzung der Waffenlieferungen an Israel.
In der SPD rumort es schon jetzt. Bekannte SPD-Mitglieder verfassten ein Manifest, in dem sie sich verstärkt für Diplomatie einsetzen und eine Abkehr von der militärischen Aufrüstung fordern. Offensichtlich erkennen sie, dass die Mehrheit der Deutschen die friedliche Koexistenz – auch mit Staaten, die nicht den westlichen Demokratievorstellungen entsprechen – befürworten und eine Politik der militärischen Stärke ablehnen. Es lässt sich schwer vorhersagen, wie lange diese Bundesregierung unter Bundeskanzler Merz im Amt bleiben wird. Allerdings sollten wir uns alle fragen, ob Friedrich Merz, der das barbarische Vorgehen des israelischen Militärs als notwendige Drecksarbeit bezeichnet und hohe Summen sowohl für die Bundeswehr als auch für die militärische Aufrüstung der Ukraine bereitstellen will, dem Amt eines Bundeskanzlers gerecht werden kann. Er mag für die Großaktionäre von Rheinmetall ein Geschenk sein, aber für die deutschen Staatsbürger, die sich nicht mittels Rüstungsaktien bereichern und vom Tod anderer profitieren (Blutgeld), ist er es sicherlich nicht.
Fazit: Die neue deutsche Bundesregierung will auf der – eine heute gerne gebrauchte Formulierung – „richtigen Seite der Geschichte stehen“ und steht heute wie einst in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wieder völlig falsch!
