Die lästigen Palästinenser
Am 7. Oktober 2023 führte die Hamas einen Angriff auf Israel durch. Raketen wurden auf
Israel abgefeuert und die Grenzanlage des nördlichen Gazastreifens wurde eingerissen.
Hamas-Kämpfer und Kämpfer von anderen mit der Hamas verbündeter Organisationen
drangen in israelische Ortschaften und Kibbuzim ein. Es wurden etwa 1200 Zivilisten und
Sicherheitskräfte ermordet und ca. 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. So
schrecklich diese Tat auch war, stellten sich nach diesem Angriff Fragen, die von der
israelischen Regierung nur unzureichend beantwortet wurden: Warum wurde die
Grenzanlage nicht so bewacht, dass ein Durchdringen des Grenzzauns unmöglich gewesen
wäre, obwohl Informationen vorlagen, dass ein Angriff der Hamas bevorsteht? Die Antwort,
die gegeben wurde, war keinesfalls zufriedenstellend: Man wusste zwar von den Plänen, hielt
aber ihre Durchführung für die Hamas zu anspruchsvoll.
Nun sickern neue Informationen durch. So soll laut Thomas Röper in seinem Anti-Spiegel (vgl. hier) ein israelischer Soldat vor der Knesset ausgesagt haben, „dass seiner Einheit just an dem Morgen des Hamas-Angriffs untersagt worden sei, die routinemäßigen Patrouillen an der Stelle
durchzuführen, an der die Hamas angegriffen hat“. Laut dem Anti-Spiegel würde diese Aussage die Vorwürfe bestätigen, dass die Netanjahu-Regierung von den Angriffsplänen gewusst und den Angriff bewusst zugelassen hat. Es bleibt die Frage, warum die israelische Regierung den Angriff zuließ.

Thomas Röper verweist in diesem Zusammenhang auf einen früheren Artikel von 2023, in dem er sich auf das Oslo-2-Abkommen bezieht, das am 28. September 1995 in Washington unterzeichnet wurde und „Palästina unter anderem das Recht einräumt, selbständig über seine Bodenschätze zu verfügen“. Die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) schloss vier Jahre später mit British Gas, einem englischen Energieunternehmen, einen Vertrag ab. British Gas sollte herausfinden, ob es vor der Küste des Gazastreifens Gas- und Erdölvorkommen gäbe. Tatsächlich entdeckte British Gas reiche Gasvorkommen. Die palästinensische Autonomiebehörde war mit dem Vorschlag von British Gas einverstanden, „eine Infrastruktur für die Förderung und Verarbeitung von Gas aufzubauen und mit dem Bau einer Gaspipeline, vor allem nach Europa, zu beginnen“ (Anti-Spiegel). Da die Pipelines aber durch von Israel kontrolliertes Gebiet führen würden, war die israelische Regierung gegen dieses Vorhaben.
Stattdessen schlug sie vor, das Gas nach Israel für einen Preis zu liefern, der günstiger als der
übliche Marktpreis ist. Die israelische Regierung wollte selbst das Gas nach Europa
exportieren. Die palästinensische Autonomiebehörde lehnte dies ab.
1996 gewann ein rechtsgerichtetes religiöses Bündnis die Wahlen und Netanjahu wurde
Ministerpräsident (1996 – 1999). Es war klar, dass dieses Bündnis einen „reichen“
Palästinenserstaat niemals akzeptieren würde. Man wollte selbst von den Gasvorkommen
profitieren und deshalb wurde der Vorschlag gemacht, das Gas weit unter dem üblichen
Marktpreis nach Israel zu liefern.
2007 fanden auf Druck der USA im Gazastreifen Wahlen statt. Die Hamas gewann die Wahl.
Netanjahu, der 2009 wieder gewählt wurde, begrüßte es, dass die Hamas im Gazastreifen an
der Macht war. Die Hamas lehnte das Existenzrecht Israels ab und so hatte Netanjahu gute
Gründe, eine Zweistaatenlösung abzulehnen. Immer wieder gab es gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und dem israelischen Militär. Netanjahu, der
nach einer nur sehr kurzen Auszeit (2021 – 2022) im Dezember 2022 wieder
Ministerpräsident wurde und eine Regierungskoalion bildete, die aus religiös orientieren
rechtsnationalen Parteien besteht, wusste über die Pläne der Hamas Bescheid. Wenn er den
Hamas-Angriff zunächst zulassen würde, hätte er die Legitimation (Existenzrecht Israels),
mit aller Härte gegen die Hamas vorzugehen; zumindest schien er sich sicher zu sein, dass die
Mehrheit der israelischen Staatsbürger ihm zustimmen würde.
Um letztlich die Sicherheit Israels garantieren zu können, so die gegenwärtige Haltung der
israelischen Regierung, muss der gesamte Gazastreifen besetzt werden. Aber ist es wirklich
nur das Sicherheitsinteresse? So schrieb im Juni 2023 Mena-Watch, eine Wiener Website, die
sich mit dem Nahen Osten und Israel beschäftigt, dass Israel mit der palästinensischen
Autonomiebehörde und Ägypten Gespräche führen will, „um mit der Planung für die
Erschließung des Gasfeldes vor dem Gazastreifen zu beginnen“. Die Hamas, die die
demokratisch legitimierte Vertretung der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen ist,
lehnte Gespräche mit den Israelis ab und vertrat die Meinung, dass eine Erschließung des
Gasfeldes ausschließlich eine Angelegenheit der im Gazastreifen lebenden palästinensischen
Bevölkerung sei; nur die Gaza-Bewohner seien die rechtmäßigen Eigentümer der
Gasvorkommen vor ihrer Küste. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde der Netanjahu-
Regierung klar, dass man die Hamas ausschalten müsse, wenn man von der Erschließung des
Gasfeldes profitieren wolle. Es galt, den Angriff der Hamas zunächst zuzulassen, um dann
mit aller Härte reagieren zu können: Der Angriff diente der israelischen Regierung als
Legitimation für die Liquidierung der Hamas!
Man mag dies alles noch nicht glauben wollen und die Aussage des israelischen Soldaten vor
der Knesset für einen in den sozialen Medien verbreiteten Fake halten, auf den Thomas
Röper hereingefallen ist. Die Tatsache aber, die nicht nur vom Anti-Spiegel, sondern auch
von anderen Medien veröffentlicht und von den Leitmedien zwar kaum erwähnt, aber auch
nicht bestritten wird, ist die: Am 29. Oktober 2023 – der Überfall der Hamas auf Israel
fand am 7. Oktober 2023 statt – vergab die israelische Regierung Lizenzen an sechs
israelische und internationale Unternehmen, um vor der Küste des Gazastreifens nach
Erdgas zu suchen!
Es war also damals schon die Absicht der israelischen Regierung, den ganzen Gazastreifen
einzunehmen. Für die Netanjahu-Regierung gilt der Leitspruch: Nur wenn diejenigen, die
sich Palästinenser nennen, verschwunden sind, kann Großisrael erblühen!
Redaktionelle Notiz: das Beitragsbild stammt von Otto v. Friedbach. Bild im Text inkl. der Bildunterschrift wurde von der webredaktion eingefügt.